Selbstverständnis

Für uns ist es ein Akt der Diskriminierung, Prostituierte pauschal als Opfer zu sehen. Es gibt nicht die Prostitution, sondern sehr unterschiedliche Erscheinungsformen. Eine differenzierte Betrachtung ist somit unerlässlich.

Wir betrachten Prostitution als eine Form der Erwerbstätigkeit und sprechen von „Sexarbeiterinnen“, wenn Frauen diese Tätigkeit selbstbestimmt, freiwillig und professionell ausüben.

Wir sprechen von Zwangsprostitution, wenn Frauen zur Arbeit als Prostituierte gezwungen werden. Zwangsprostitution ist Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung.

Wir sprechen von Armutsprostitution, wenn prekäre wirtschaftliche Bedingungen in den Herkunftsländern und Perspektivlosigkeit dazu geführt haben, dass Frauen sich aus einer existentiellen Notlage heraus zur Prostitution entschieden haben. Dabei handelt es sich überwiegend um Frauen aus Osteuropa. Sie sprechen wenig oder kein Deutsch, sind teilweise Analphabetinnen und können demzufolge mit ihren Kunden kaum Vereinbarungen treffen und Preise verhandeln. Eine gesundheitliche Versorgung existiert nicht. All diese Merkmale lassen sie leicht zu Opfern von Zuhältern und Vermietern von Prostitutionsarbeitsstätten werden, die ihre Vulnerabilität ausnutzen, um sie zu kontrollieren, abhängig zu machen und auszubeuten.

Dennoch sind Armuts- und Elendsprostitution nicht grundsätzlich Zwangsprostitution, sondern oftmals für die Frauen eine (oder die einzige) Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder und Familien selbstständig zu sichern. Manche Lebenshintergründe lassen oftmals nur eingeschränkte Möglichkeiten der Existenzsicherung zu, und manche Frauen treffen Entscheidungen, die andere für sich strikt ablehnen.

Solange es keine grundlegenden Verbesserungen in den Herkunftsländern dieser Frauen gibt, liegt unser Fokus, insbesondere bei dieser schutzbedürftigen Gruppe, auf der Stärkung der Handlungsfähigkeit der einzelnen Frau, der Verbesserung ihres Selbstmanagements und der Sicherstellung ihres Zugangs zu Information, Beratung und gesundheitlicher Versorgung.

Wir respektieren die Entscheidung von Frauen, die sich freiwillig für die Prostitution als Erwerbsmöglichkeit entscheiden und/oder diese Entscheidung angesichts stark reduzierter Optionen treffen. Eine solch akzeptierende Haltung ist für uns die Voraussetzung für jede Form der Hilfe und Unterstützung für die betroffenen Frauen. Unser Beratungsansatz ist parteilich und orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen und subjektiven Bedarfslagen von Frauen.

Das wesentliche Ziel der Beratungen von sichtbar ist grundsätzlich die Stärkung von Frauen und die Erweiterung ihrer individuellen Handlungskompetenzen, um selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen.

Prostitution enthält für uns dennoch keine dauerhafte gewinnbringende Lebens- und Arbeitsperspektive, da fast alle Frauen starken physischen (gesundheitlichen) und extremen psychischen Belastungen ausgesetzt werden.